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Mary Bauermeister: Gold–Rot–Schwarz – die deutsche Flagge vom Kopf auf die Füße gestellt


Mary Bauermeister im Gespräch mit Michael Friedrich Vogt.

Die deutsche Künstlerin Mary Bauermeister war Mitbegründerin der neuen deutschen Kunstrichtung „Fluxus“. Schon als 19-jährige hatte Mary den Mut, als freie Künstlerin eigene Wege zu gehen. In ihrem Atelier trafe sich alles, was in derAvantgarde (später) Rang und Namen hatte. Sie hielt nicht nur eine ganz eigenwilligen „Salon“, sondern war selber eine später hochangesehene und geschätzte Künstlerin. Der Durchbruch kam für sie allerdings erst, nachdem sie in New York Erfolg hatte.

Sie traf 1961 auf Karlheinz Stockhausen, als sie einen seiner Komponier-Ferienkurse besuchte. Sie hatte sofort ihr Herz an ihn verloren und heiratete Stockhausen auch ein paar Jahre später. „Er war mein Muserich“ scherzt sie gern im Rückblick.

Auch heute ist Mary Bauermeister eine höchst eigenständig denkende und freie Denkerin. Ihre Gedanken zum Deutsch-Sein und der Deutschen Fahne erörtert sie in diesem Gespräch mit Michael Friedrich Vogt. Dabei geht sie auch auf die ältesten Wurzeln dieser Fahne zurück, empfindet und betrachtet allerdings auch gleichzeitig als Künstlerin die Energie, die in den Farben mit schwingen.

Mary Bauermeister – die große Dame der modernen Kunstszene im westlichen Nachkriegsdeutschland – stellt für eine Ausstellung die deutsche Fahne wieder vom kopf auf die Füße: Im Atelier herrscht eine kreative Stimmung. Hier ist der Ort, wo vieles entsteht: Mary Bauermeister ist gerade dabei, aus der deutschen Flagge einen gigantischen Zopf zu flechten – am Schluß soll nicht das Schwarz sondern das Gold oben sein. »Das würde Deutschland guttun«, meint die Künstlerin lachend. Die deutsche Fahne flicht sie zu einem überdimensionalen Zopf. Der schlingt sich durch den Raum, bis am Ende die Farben umgedreht gold-rot-schwarz sind und damit eine neue Fahne entsteht. Und auch eine neue Gesinnung. „Zopf ab“.

Alte Zöpfe abzuschneiden, darin war Mary Bauermeister immer eine Meisterin. 1960 mietete Bauermeister in der Lintgasse 28 in Köln eine Wohnung im Dachgeschoß, wo zwischen März 1960 und Oktober 1961 mehrere Konzerte, Ausstellungen und intermediale Veranstaltungen stattfanden. Die kulturellen Veranstaltungen im Atelier Bauermeister gehörten zu den ersten „Prä-Fluxus-Veranstaltungen“ und hatten auf die Künstler der späteren Fluxus-Bewegung einen großen Einfluß. Avantgardistische Dichter, Komponisten und bildende Künstler wie George Maciunas, Joseph Beuys, Wolf Vostell, Hans G Helms, David Tudor, John Cage, Christo, George Brecht und Nam June Paik veranstalteten damals auf ihre Einladung hin unkonventionelle Konzerte „neuester Musik“, Lesungen, Ausstellungen und Aktionen. Mary Bauermeisters „Prä-Fluxus“-Aktivitäten trugen erheblich zur Entwicklung der Kölner Kunstszene bei.

Die bekanntesten Werkgruppen ihres Oeuvres sind optische Kästen, in denen sich Zeichnungen durch geschliffene Linsen einer Metamorphose unterziehen. Eine Staffelei mit Linsenscheibe und Elementen mit Farbspektrum und die großformatige Arbeit „Brush stroke“ sind dafür Zeugnis in der Potsdamer Ausstellung. Die dokumentarische Gegenüberstellung des Kölner Ateliers und Arbeiten aus ihrem Skizzenbuch „Ein Tag in New York“, die sie zu ihrer Ausstellung zum 75. Geburtstag verwirklicht hat, vervollständigen das Ensemble der Sonderausstellung, die bis 19. August zu sehen ist.

Von der zweidimensionalen Zeichnung entwickelte sich das Werk Bauermeisters zunehmend in den Raum hinein – über Relief- und Materialbilder gelangte sie schließlich zu den sogenannten Linsenkästen, der wohl geheimnisvollsten Werkgruppe der Künstlerin, mit der ihr 1964 der Durchbruch auf dem New Yorker Kunstmarkt gelang. In zum Betrachter hin offenen, weißen Holzkisten schuf Bauermeister kleine Welten aus glänzendem Glas, Lupen, Linsen und Prismen, hinterlegt von feinen Tuschezeichnungen und aufgetragenen Texten. Diese Kästen bieten mit ihren zwei oder drei gläsernen Bildebenen Raum für die Gedanken und Ideen der Künstlerin und sollen den Betrachter zur genauen Beobachtung anregen.

In den 1970er Jahren kehrte Mary Bauermeister nach Deutschland zurück und begann sich mit Grenzwissenschaften wie Geomantie zu beschäftigen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse nutzte sie für die Planung von Gärten, die sie für öffentliche und private Auftraggeber weltweit ausführte.
Heute lebt die Künstlerin in Rösrath bei Köln.